Kaffee besitzt die einzigartige Fähigkeit, Menschen verschiedener Kulturen zu verbinden. Weder Politik noch Ländergrenzen können ihn dabei aufhalten. In einem faszinierenden Kapitel der Geschichte schmiedete die Deutsche Demokratische Republik (DDR) durch Kaffeediplomatie eine unerwartete, weitreichende Verbindung mit Vietnam. In diesem Artikel tauchen wir ein in die faszinierende Geschichte, wie eine Kaffeekrise in der DDR zu einer Partnerschaft führte, die die Kaffeeindustrie in Vietnam grundlegend prägen und auf beide Nationen langanhaltenden Einfluss haben sollte.
Im Jahr 1976 sah sich die DDR mit einer Kaffeeknappheit konfrontiert, verursacht durch einen verheerenden Frost, der die Kaffeeernte in Brasilien zerstört hatte. Die sozialistische DDR war von diesem Marktmechanismus doppelt betroffen. Die steigenden Preise kollidierten mit einem Land, das ständig unter Devisenmangel für Importe litt. In den Jahren 1974 und 1975 gab die DDR rund 150 Millionen Valutamark für importierten Kaffee aus, aber im folgenden Jahr mussten sie fast das Fünffache davon investieren, insgesamt 700 Millionen. Die Schwere dieser Kaffeekrise wurde Ende 1976 und Anfang 1977 offensichtlich und die Versorgungsengpässe konnten vor der Bevölkerung nicht mehr verborgen werden. Für eine Nation, die ihren morgendlichen Kaffee schätzte, war diese Knappheit nichts weniger als eine Katastrophe. Kaffee hatte auch während dieser repressiven Tage der DDR einen besonderen Platz in den Herzen und Tassen der Ostdeutschen. Nun musste sich die Regierung mit der Realität leerer Kaffeetassen und dem Fehlen des geliebten Morgenrituals auseinandersetzen. In einem repressiven Land mit ohnehin vielen Engpässen bei verschiedenen Gütern fügte die Kaffeekrise zu bestehenden Problemen noch ein weiteres hinzu. Die Regierung der DDR stand vor einem Dilemma, als sie die Unzufriedenheit unter der Bevölkerung erkannte.
Als die Kaffeeknappheit anhielt, wurden drastische Maßnahmen ergriffen. Um ein marktbasiertes Kaffeequotensystem zu vermeiden, das die Verfügbarkeit eingeschränkt hätte, beschloss das Politbüro, den Preis für Kaffee zu verdoppeln, in der Hoffnung, die Nachfrage würde abnehmen. Sie beschränkten auch die Vielfalt des für DDR-Bürger verfügbaren Kaffees. Doch selbst nach drastischer Preiserhöhung reichte der verfügbare Kaffee immer noch nicht aus. Eine Mischung aus Kaffee wurde eingeführt, um die Situation zu beruhigen. Der „Kaffee Mix“ enthielt nur etwa 50% Kaffee, der Rest bestand aus einer Mischung aus Roggen, Gerste, Zichorie und sogar getrockneten Zuckerrübenschnitzeln. Diese vom Staat vorgeschriebene Kaffeemischung erhielt in einer sarkastischen Anspielung auf eine westliche Marke den Spitznamen „Erichs Krönung“ und war bei der Bevölkerung ziemlich unbeliebt. Viele verzichteten lieber ganz auf Kaffee. Die Gastronomiebranche war gezwungen, die neue Kaffeemischung zu verwenden, was aufgrund der erweiterten Mischung die Filter verstopfte und so zu häufigen Störungen der Kaffeemaschinen führte.
Um der Bedrohung durch die Kaffeekrise zu begegnen, musste die DDR weiter nach kreativen Lösungen suchen. Sie richteten ihren Blick auf sozialistische Bewegungen in Ländern wie Angola, Mosambik und Äthiopien. Dabei boten sie auch Waffen im Austausch gegen Kaffee an, um ihren Bedarf zu decken. Äthiopien, unter der Führung von Mengistu Haile Mariam, akzeptierte den Waffenhandel begeistert, mit dramatischen Folgen. Die militärische Lieferung im Austausch gegen Kaffee schürte die paranoide Verfolgung und Ermordung Tausender vermeintlicher Dissidenten durch das äthiopische Regime. Trotz der Grausamkeiten setzte Ostdeutschland den Handel fort. Sowohl Außen- und als auch Innenpolitik waren in Zeiten des Kalten Krieges eine komplexe Angelegenheit.
In den 1980er Jahren begann die SED einen anderen Ansatz und ging eine Partnerschaft mit ihrem sozialistischen Verbündeten Vietnam ein. In Südostasien wurde die Erinnerung an den Kaffeeanbau während der französischen Kolonialzeit wachgerufen. Vietnam, das sich noch von den Auswirkungen des Vietnamkrieges erholte, griff diese Tradition auf und erweiterte die Kaffeeproduktion signifikant. Die Aufhebung der amerikanischen Sanktionen nach dem Vietnamkrieg bot dem südostasiatischen Land die Möglichkeit, bedeutende Fortschritte im Kaffeeanbau zu machen. Im Rahmen einer staatlichen Vereinbarung stellte die DDR Maschinen und Unterstützung beim Bau von Häusern, Krankenhäusern und anderer Infrastruktur in Vietnams Kaffeeanbaugebieten zur Verfügung. Im Gegenzug lieferte Vietnam Kaffee an die DDR. Die DDR beteiligte sich auch am Bau neuer Infrastruktur für das Umsiedlungsprogramm in Vietnam, bei dem etwa 10.000 Menschen Platz für den Kaffeeanbau machen mussten. Im Gegenzug sicherte sich die DDR die Rechte an der Hälfte der vietnamesischen Kaffeeernte für die nächsten 20 Jahre.
Doch der Lauf der Geschichte nahm bald eine unerwartete Wendung. Ein paar Monate nachdem die Vereinbarung unterschrieben war, fiel die Berliner Mauer. Nach den Ereignissen von 1989 verschwanden im neu vereinten Deutschland die meisten in der DDR hergestellten Produkte aus den Regalen und wurden durch westliche Waren ersetzt. „Erichs Krönung“ wurde durch die ursprüngliche „Krönung“ ersetzt – eine erhebliche Verbesserung für Kaffeeliebhaber. Obwohl der vietnamesische Kaffee weitaus besser war als die Kaffeemischung mit Zuckerrübenschnitzeln, wurde er von da an hauptsächlich zur Ergänzung von Kaffeemischungen verwendet. Doch auch ohne die DDR war Vietnams Aufstieg auf dem Kaffeemarkt unaufhaltsam.
Im Jahr 2022 produzierte Vietnam etwa 30 Millionen Säcke Kaffee (á 60 kg), was es zum weltweit zweitgrößten Kaffeeproduzenten und zum größten Produzenten von Robusta-Kaffee macht. Diese Position verdankt Vietnam auch seiner turbulenten Kaffee-Reise. Mittlerweile ist Vietnam nicht mehr nur für planwirtschaftliche Massenproduktion bekannt, sondern auch durch wegweisende Innovationen in der Produktion von feinem Robusta. In neuen wie in alten Bundesländern schätzen Kaffeetrinker*innen den einzigartigen Geschmack dieser Fine Robusta Bohnen. Im ehemaligen Osten bekommt dieser Genuss sogar noch eine ganz eigene (N)ostalgie-Note.
Angesichts der Realitäten des Klimawandels etabliert sich Robusta aufgrund seiner Widerstandsfähigkeit gegen raue Bedingungen als wichtiger Akteur in der Zukunft der Kaffeeindustrie. Aus der geteilten Geschichte der Kaffeediplomatie erleben wir die Anpassungsfähigkeit von Gesellschaften, die zum stetigen Wandel der Kaffeeindustrie beiträgt.