Die Legende von „Eldorado“ erzählt von einem Land aus Gold, das irgendwo im Amazonasgebiet versteckt liegen soll. Seit der Eroberung Südamerikas durch die Conquistadores haben Viele auf der Suche nach dem mythologischen Ort ihr Leben im Dickicht des Regenwaldes gelassen. Bis heute hat niemand die goldene Stadt gefunden. Am Rio Mayo in Nordperu arbeitet die Kooperative Oro Verde mit einem anderen Gold, nämlich dem grünen Gold des Amazonasregenwaldes.
Bis zur Jahrtausendwende war das grüne Gold für die meisten Bewohner*innen der Region das Kokablatt. Nach der Befreiung aus der faktischen Sklaverei mit der Agrarreform 1976 bestellten viele Farmer*innen ihr Land mit dem heiligen Blatt der Inkas, um die rasant steigende globale Nachfrage nach Kokain zu befriedigen.
Die wilden Zeiten untergruben nachhaltig politische Strukturen, jedoch verhalfen die Einnahmen aus dem Verkauf Teilen der extrem armen Landbevölkerung auch zu einer dezenten Wohlstandssteigerung und bildeten die Grundlage für die Existenz ganzer Familien. In den 1990ern spitzte sich die Gewalt zu. Terroristen des MRTA lieferten sich zum Teil heftige Gefechte mit dem Militär. Die Leidtragenden waren vor allem bei der zivilen Bevölkerung zu finden, die Angriffen beider Seiten ausgeliefert waren. Mit einer erhöhten Militärpräsenz unter der eisernen Regierung Alberto Fujimoris verschwand bis zur Jahrtausendwende die Kokainproduktion weitestgehend aus der Region und es wurde friedlich.
Zu diesem Zeitpunkt formten 1999 insgesamt 56 ehemalige Kokafarmer*innen die Kooperative Oro Verde, zunächst für den Anbau und Verkauf von Kaffee. Es waren Zeiten großen Umbruchs und enormer Unsicherheiten für die frisch aus Sklaverei und Terror befreite Bevölkerung. Der damals 16-jährige Hildebrando Cárdenas begann 2003 in der Kooperative zu arbeiten, zunächst als Hilfsarbeiter im Lager.
Die Kooperative entwickelte sich in den kommenden Jahren immer weiter, erreichte wichtige Zertifizierungen (Fair Trade und Organic) und diversifizierte die Produktion (Panela, Kakao und Umweltprojekte). Hildebrando stieg in der Kooperative auf und ist seit 2007 Geschäftsführer.
Die Anzahlt der Mitglieder ist bis auf über 1200 Farmer*innen von Kaffee und Kakao gewachsen. Ungefähr 75% sind dabei Angehörige der Quichwa Lamista Ethnie, deren Vertreter*innen sich ihre Identität sowohl während der Inkabesatzung als auch unter den spanischen Kolonialist*innen weitestgehend beschützen konnten. Direkt am Stadtzentrum von Lamas leben sie noch heute im Barrio Wayku ihre eigene Kultur aus, z.B. in Form von Sprache, Kleidung, Architektur, Traditionen und Kulinarik.
Während die ganze Region seit der Jahrtausendwende in puncto Wohlstand und Infrastruktur enormen Fortschritt verzeichnen konnte, treten die Probleme des 21. Jahrhunderts immer mehr zum Vorschein. Am Drastischsten ist das Grüne Gold von Oro Verde durch den Klimawandel bedroht. Die zunehmende Urbanisierung und Erschließung des Umlands für die Landwirtschaft haben das Klima aufgeheizt und destabilisiert. Kaffee wächst dadurch nur noch schlecht in der Region. Auch die Aktivität der Kooperative hat sich deutlich Richtung Kakao verschoben, der besser als Kaffee mit dem heißen Klima zurechtkommt.
Über die Jahre hat Hildebrando neben der Geschäftsführung bei der Kooperative immer wieder auch wichtige Funktionen in größeren Entwicklungsprojekten besetzt. Auf diese Weise nimmt er die Probleme der Community in die Hand und gestaltet pragmatische Lösungen. Die Kooperative möchte ihre Mitglieder für eine schwierigere Zukunft im Zuge des Klimawandels wappnen. Eines dieser wegweisenden Projekte heißt „Jubilación Segura“ (sichere Rente), das den Agroforst als facettenreiche Möglichkeit der Einflussnahme exploriert.
Schon mehr als 2 Millionen Bäume hat Oro Verde so in den vergangenen Jahren bereits gepflanzt. Die einheimischen Hölzer bergen viele Vorteile auf einmal. Sie binden Kohlenstoff, stabilisieren das lokale Klima und kühlen es ab, bringen Schatten für die Kaffeepflanzen. Nicht zuletzt sind sie wie eine Rentenversicherung für die alternden Kooperativenmitglieder. Eines Tages können sie die wertvollen Hölzer verkaufen und so ihren Lebensabend finanzieren, wenn die kräftezehrende Kaffeeernte nicht mehr möglich ist.
Im neuesten Projekt pflanzen die Farmer*innen 7,5 Hektar Tieflandkaffee (Coffea Canephora) in die niedrigeren Gebiete nahe der Stadt. Hier wütet der Kaffeerost mittlerweile auch bei den einst immun geglaubten Catimor-Hybriden und zwingt viele Farmer*innen zur Aufgabe der Kaffeefincas. Mit Tieflandkaffee im Agroforstsystem kann Kohlenstoff gebunden werden, die Menschen bekommen eine neue Perspektive mit Kaffee und ein innovativer Markt kann entstehen. Dieses Projekt wird von Qoffee Qulture e.V. mit der Förderung der SEZ Baden-Württemberg realisiert und findet in Kooperation mit der Kooperative Aproeco statt.
Das Eldorado des grünen Goldes von Oro Verde ist kein versteckter Schatz, der darauf wartet, gefunden zu werden. Es ist mehr das sensible Privileg des leckeren Geschmacks, das insbesondere im Zuge der allgegenwärtigen Probleme des 21. Jahrhundert auf innovative Lösungen und behutsame Pflege angewiesen ist. Bei der Kooperative Oro Verde haben wir Partner*innen gefunden, mit denen wir diesen Weg gemeinsam vorbildhaft voranschreiten können.