Ein zentrales Thema das nicht nur unsere Partner*innen, sondern auch uns täglich beschäftigt ist die derzeit angespannte Lage der Kaffeebranche. Wir möchten uns die Zeit nehmen und dieses aktuelle und sehr relevante Thema näher beleuchten. In unserem ersten Artikel haben wir Euch bereits veranschaulicht, von welchen Faktoren Markt und Kaffeepreise aktuell beeinflusst werden. In diesem Artikel widmen wir uns der vielleicht besten Frage: „Wer verdient an der Krise?“. Beleuchten wir die Lieferkette Schritt für Schritt.
Farmer*innen
Die Farmer*innen in Peru sind es leider nicht. Das Klima hat jedes Jahr neue hässliche Überraschungen bereit. Covid-19 hat viele Leben gekostet, die Lebenskosten stiegen, sind spätestens mit Beginn des Ukrainekrieges explodiert. Ihre Existenz ist stark bedroht. Viele verlassen den Beruf im Kaffeeanbau und suchen sich etwas Sichereres. Nicht einmal die „hohen“ Preise motivieren ausreichend. Geschichten über Menschen, die durch Kaffeeanbau reich geworden sind, zirkulieren im Ursprung nicht. Im Gegenteil, in Ländern wie Honduras befeuern die Schwierigkeiten im Kaffeeanbau die gefährliche Migration in die USA. Auch jetzt in Zeiten vermeintlich toller Kaffeepreise. Hochpreisige Microlots werden deutlich weniger nachgefragt, weshalb der „race-to-bottom“ wieder in voller Fahrt ist. Qualität ist wieder egal, Kaffee muss wieder billig sein. Wissensfortschritt geht verloren. Viel schlimmer noch: Das Vertrauen in den von der Spezialitätenindustrie versprochenen Fortschritt geht verloren. Peru wird dieses Jahr voraussichtlich 259% mehr Kaffee nach Kolumbien exportieren als noch 2021.[1] Warum Kaffee von Peru nach Kolumbien exportiert wird? Auch in Kolumbien ist das Erntejahr nach mehreren Kältewellen schlecht, aber Verträge müssen bedient werden. Durch höhere Differentials von Colombian Milds auf dem Weltmarkt ergeben sich Potenziale für Arbitrageerträge. Deshalb kaufen kolumbianische Unternehmen dieses Jahr vermehrt Rohkaffee in Peru ein. Die JNC und die CPCC als nationale Kaffee-Organisationen Perus konnten das leider nicht verhindern, da im politischen Wirrwarr um den linksextremen Präsident Castillo der Regierungsapparat gelähmt ist.[2] An alle Röstereien: Wie transparent sind eigentlich eure kolumbianischen Kooperativenkaffees? Es ist gut möglich, dass sich darin 2022/2023 peruanischer oder auch anderer Rohkaffee befindet.
Exportunternehmen / Kooperativen
Exportunternehmen machen auch schwierige Zeiten durch, besonders Kooperativen, und ganz besonders kleinere Kooperativen. Fixpreisverträge stellen sich für sie als verlustreich dar. Die großen Handelshäuser konnten viel schneller auf die Situation reagieren. Sie funktionieren im Ursprung nur als Ankaufstelle. Es gibt hier keine Partnerschaft, keine Betreuung, keine Zertifizierung und noch viel weniger Direct Trade. Jede*r darf kommen und Kaffee verkaufen, aber mehr halt nicht. Für Farmer*innen, die Hunger und Durst haben, die ihre Kinder in die Schule schicken wollen, die Kosten für medizinische Behandlungen stemmen wollen, gibt es diese Treue dann gegenüber ihrer Kooperative auch nicht. Zahlen die Handelshäuser mehr als die Kooperativen, dann wird an die Handelshäuser verkauft. Für die Kooperativen gestaltet es sich schwierig, an Kaffee zu kommen und ihre Verträge zu bedienen.
Reedereien und Krafstoffindustrie
Endlich haben wir sie! Die Gewinner*innen der Krise existieren. Es sind diejenigen, die rechtzeitig in die Kraftstoffindustrie und in Reedereien investiert haben. BP hat im Q2 2022 ganze 46 USD pro Ölfass Gewinn gemacht. GEWINN! PRO FASS! Unglaublich (Anmerkung: Ein Fass kosten gerade 106,16 USD[3]). Zusammen gewannen die fünf Ölmultis Shell, Exxon, Total, Chevron und BP im zweiten Quartal 2022 mehr als 60 Milliarden Dollar.[4] Bürger*innen und Politiker*innen sind gleichermaßen empört. Aber der geschlossene Mut zur Intervention fehlt irgendwie doch, in den USA und in Europa. Dem Osten die Oligarchen, dem Westen die Ölmultikonzerne. Die gewinnenden Aktionäre sind breit verstreut, vielleicht gewinnst auch du ein bisschen über EFT-Fonds für die Altersabsicherung mit. Alle verschifften Waren bezahlen das über die explodierten Containerpreise mit. Natürlich, es herrscht immer noch Chaos in den Häfen. Aber wenn hier solche Gewinne eingefahren werden, wer bezahlt sie? Das sind alle, die verschiffte Waren bezahlen. Und es wird auf den Meeren geschippert, was das Zeug hält. Unser ganzer Einkaufskorb wurde quer über den Globus von Schiffen (Gewinner #2) unter Einsatz von Kraftstoff (Gewinner #1) bewegt.
Importunternehmen
Importunternehmen ächzen. Der Kaffee ist knapp und teuer geworden, und als wäre das nicht genug müssen wir als europäische Importeure für einen USD heute historisch viele Euros hinlegen. Insbesondere kleinere Importunternehmen haben für ein Jahr im Voraus Kaffee gekauft, als der Ukrainekrieg noch nicht absehbar schien. In der jetzigen Situation können teurere Kaffeespezialitäten zu Ladenhütern werden. Röstereien, die jahrelang auf Transparenz, Direct Trade und „local first“ gesetzt haben, wechseln klammheimlich zurück zu den großen Handelshäusern, um günstigere Preise zu bekommen. Sie genießen mehr Flexibilität durch den Peitschenschlageffekt.[5] Das setzt kleineren Importunternehmen, die noch keine Reserven gebildet haben, hart zu.
Röstereien
Röstereien müssen der Kundschaft dieses ganze Schlamassel erklären. Es sind in den letzten Jahren sehr viele Röstereien entstanden, was den Markt zunehmend dynamisch gemacht hat. Mit der schwindenden Kaufkraft wird es jetzt noch kompetitiver. Wie viele Verbraucher*innen werden in Zeiten explodierender Lebenskosten von Standard- auf Spezialitätenkaffee umschwenken? In der Krise ändert sich das Nachfrageverhalten, was auch Röstereien spüren. Die angebotene Qualität kann jetzt manchmal den eigenen Ansprüchen nur schwer gerecht werden. Gleichzeitig ist es wichtig, sich von den großen Kaffeeunternehmen abzuheben. Damit bietet sich in dieser Situation auch eine Chance, nämlich durch Rationalisierung das Unternehmen effizienter zu gestalten und den Werten des Specialty Coffee treu zu bleiben.
Kaffeetrinker*innen
Kaffeetrinker*innen verlieren auch an der Krise. Sie bekommen weniger gute Kaffees und müssen dafür mehr Geld bezahlen. Konsument*innen haben generell eine große Verantwortung, die oft in die ganze Welt zeigt. Dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist in den Krisenzeiten schwieriger geworden, aber auch wichtiger. Wir können jetzt unsere Treue zu Werten zeigen, und zu jenen Unternehmen, die sie repräsentieren.
Findet hier heraus, was Farmer*innen zur aktuellen Situation sagen.
Quellen:
[1] https://www.reddepuertos.org/noticias/peru-exportaciones-de-cafe-registran-cifras-positivas-durante-abril-de-2022
[2] https://juntadelcafe.org.pe/peru-1200-millones-de-dolares-sumarian-exportaciones-de-cafe-durante-2022/
[3] https://www.google.com/search?q=barrel+%C3%B6l+preis+2022&oq=barell+%C3%
[4] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bp-gewinn-oelkonzerne-1.5632515
[5] http://www.wirtschaftslexikon24.com/d/peitschenschlag-effekt/peitschenschlag-effekt.htm#:~:text=Peitschenschlag%2DEffekt%20(Bullwhip%2DEffect,man%20sich%20vom%20Endkunden%20entfernt