Ein Reisebericht von Daniel Kraus, Mit-Gründer und Gesellschafter der cumpa GmbH
Die Anreise über Ruanda
Lukas und ich träumten schon seit 2018 in Karlsruhe davon, Kaffee von der Insel Idjwi zu importieren. Nachdem Lukas‘ Reise 2020 durch die Pandemie geplatzt war, ergriff ich 2021 die Gelegenheit, Idjwi zu besuchen. Im November 2021 ging die Reise los. Die Anreise lief über Ruanda, wo ich mich mit „Engineers without Boarders“ in einem Hostel unterbringen konnte, nachdem wir gemeinsam im selben Flieger angereist sind. Während die EWBler*innen ihre letzten Einkäufe tätigten, konnte ich mich um die Organisation eines Fahrers an den Idjwi See kümmern. Die halbtägige Fahrt von Kigali nach Kibuye war angenehm, da die Verbindungsstraße in den größten Teilen befestigt war. Mein Fahrer Bosco war ruhig und nett, sprach perfekt Englisch und ließ die Fahrt kurzweilig wirken. Kibuye liegt auf der ruandische Seite des Kivusees. Als wir uns der Kleinstadt näherten, öffnete sich vor uns der gewaltige Kivusee.
In Kibuye erwartete mich Gilbert Makele, der Geschäftsführer von SCPNCK, bereits. Unsere Begrüßung war herzlich und freundschaftlich, doch Zeit für ausführliche Gespräche blieb uns nicht, da wir noch vor Einbruch der Dunkelheit die Insel erreichen wollten. Bevor ich mich jedoch zur Bootsfahrt aufmachte, musste ich den Grenzposten passieren. Dort bestätigte mir ein Offizieller namens Mr. Janvier das Visum für Idjwi, und gemeinsam mit Gilbert begab ich mich zur Grenzkontrolle, wo ich einen Covid-Test absolvieren musste. Der Grenzposten bestand aus einem kleinen Haus mit einem Bootsanleger für die Holzkanus, die für den Viehhandel genutzt wurden. Mit Gilbert, einem weiteren Begleiter und dem Fahrer machte ich mich schließlich auf den etwa 20 km langen Weg zur Insel Idjwi. Leider zog während der Fahrt ein Sturm auf, der die Überfahrt zu einem beängstigenden Erlebnis machte: Die Wellen erreichten eine Höhe von etwa einem Meter, und das Boot wurde mehrmals beinahe von großen Wellen umgeworfen. Glücklicherweise behielt der Fahrer die Kontrolle über das Boot, während wir uns unter Planen vor dem Wasser schützten, dennoch wurden wir nass. Schließlich erreichten wir nach etwas mehr als 2 nervenaufreibenden Stunden mit der Dämmerung das rettende Ufer von Idjwi.
Ankunft auf Idjwi
Wir wurden von Mitarbeiter*innen der Kooperative empfangen. Gilbert erzählte jedem, den wir trafen, von unserem Abenteuer. Mein unbeholfener Witz, dass ich für “gewaschenen Kaffee” gekommen sei und nicht selbst gewaschen werden möchte, erfreute Gilbert besonders. Seine fröhliche, herzliche und gutherzige Art beeindruckte mich sofort. Ich wurde von Mitarbeiter*innen der Kaffeekooperative SCPNCK mit dem Motorrad abgeholt, um mich zum Hotel zu bringen. Auf Idjwi gab es keine einzige befestigte Straße, doch es lebten hier 300.000 Menschen. Motorräder gab es wenige, und Autos fast keine auf der Insel. Der Alltag wurde zu Fuß erledigt. Auf dem Weg machten wir noch einen Halt in einem kleinen „Restaurant“ wo wir Fufu und frittierte Fische aßen. Das Nationalgericht auf Idjwi. Danach fuhren wir zum einzigen Hotel, das von Chance Rwesi, dem Stellvertreter und der rechten Hand Gilberts in der Kooperative, und seiner Frau betrieben wird. Er hatte das Risiko ein Hotel zu eröffnen durch eine Kreditabsicherung der Kooperative und mit der Hilfe von Gilbert auf sich genommen. Dort wurden alle Besucher*innen und „wichtigen“ Leute beherbergt und bestens versorgt. Es ist eine Empfehlung auf Tripadvisor wert! Das Haus war eines der wenigen fest gemauerten Häuser auf der ganzen Insel und es war erst kürzlich errichtet worden. Dankbar und erschöpft von der Bootsfahrt nahm ich eine Dusche und verbrachte meine erste Nacht auf Idjwi.
Willkommen bei SCPNCK
Am nächsten Morgen wurde ich im Zentrum der Kooperative empfangen, wo ich den verschiedenen Gruppen vorgestellt wurde und Gastgeschenke überreichte. Über die Geschenke (u.a. Funktionsjacken aus einer Qoffee Qulture e.V. Spendenaktion) haben die Leute sich sehr gefreut, ich Ich fühlte mich mehr als willkommen. Die positive Art der Idjwianer*innen ist ausgesprochen herzerwärmend. Mit Chance machte ich einen „Trikottausch“, bei dem er ein cumpa Tshirt erhielt und ich ein SCPNCK Poloshirt. Wir machten viele Fotos, die Stimmung war fröhlich und zuversichtlich. Die Kooperative erschien mir wie eine Art Treffpunkt, an dem gemütlich und friedlich miteinander gearbeitet wird. Eine wichtige Person, die dort gerade im Auftrag einer Hilfsorganisation arbeitete, war der bis dato einzige kongolesische Q-Grader Moses Dunia Muhindo (ausgesprochener Rufname Mois). Er bildete einzelne Mitarbeiter*innen aus, um Quality Checks zu machen. Leider gab es eine sehr große Wissenslücke bei allen und selbst das einfache Bewerten und Cuppen von Kaffees fiel den Kooperativenmitarbeiter*innen ziemlich schwer. Zum Glück gibt es Moses. (Anmerkung: heute arbeitet Moses bei einer anderen Kooperative in Kalehe in West-Kivu) Wir machten ein kleines Cupping (Cuppinggeschirr gab es nicht wirklich) und probierten verschiedene Samples, die Moses auf dem kooperativeneigenen Sampleröster röstete, zusammen mit Samples, die ich aus Deutschland mitgebracht hatte. Für die Mitarbeiter*innen von SCPNCK war es sehr spannend, andere Kaffees zu probieren.
In der Kooperative gab es immer gemeinsames Mittagessen, das von einer netten Köchin gebracht und verteilt wurde. In der Regel war es Reis mit Bohnen und wieder diese kleinen frittierten Fische. Koko Clement, ein Angestellter von SCPNCK und ehemaliger Rebelle, zeigte mir nach dem Mittagessen ein Ankaufhäuschen der Kooperative. Hier konnten die Leute ihren Kaffee vorbeibringen. Mit ihm verbrachte ich viel Zeit und er zeigte mir große Teile der nördlichen Insel. Er sprach nur Französisch mit starkem kongolesischem Akzent und hatte wie viele Leute auf der Insel leider ein Alkoholproblem. Ich spürte, wie er von seiner Vergangenheit als Kämpfer geprägt war, nahm ihn aber gleichzeitig als einen äußerst herzlichen und ruhigen Mensch wahr. Durch Kaffee hatte er den Ausstieg aus der Gewaltspirale geschafft, die vorher sein Leben bestimmt hatten. Mit dieser Entwicklung stand Koko für eine der Grundideen der Kooperative.
Auf unserer Tour sah ich, dass die Insel Idjwi ist generell stark besiedelt war, jedoch die Menschen in absoluter Armut lebten und sich größtenteils selbst versorgten. Ich sah wenige Märkte oder andere Möglichkeiten, Nahrungsmittel zu kaufen. Die Armut war erschreckend. Die Menschen wohnten verstreut auf dem ganzen Land in Hütten und es gab wenig größere Siedlungen. Entlang der Straßen waren die meisten Hütten gebaut. Wir fuhren vorbei an den Häusern zu einigen Fincas und Washing Stations. Die Zeit mit Koko machte mich nachdenklich, die Fahrten mit dem Motorrad hinter dem freundlichen, aber nach Alkohol riechenden Ex-Rebellen hin zu den verarmten Kaffeefarmer*innen erzeugten ein Gefühl der Beklommenheit. Doch ich spürte, dass gerade dieser Austausch wichtig war und erfüllte professionell meine Mission, Geschichten und Fotos zu erfassen. Der Tag ging rasch zu Ende und ich viel wieder erschöpft ins Bett.
Am nächsten Tag besuchten wir weitere Fincas und ihre Farmer*innen. Am Nachmittag wurde ich von Gilbert und den Funktionär*innen der Kooperative zum Austausch beim Bier in einer Art Park eingeladen. Wir erzählten uns Geschichten übereinander. Ich lernte, dass die Autoritäten auf Idjwi immer mit Mama oder Papa angesprochen werden. Zum Beispiel sagten die Leute „Papa Gilbert“. Eine Dame, die ich kennenlernte, erzählte mir am Abend im Gespräch, dass sie ihren Mann verloren hatte, als er bei einer Bootsüberfahrt nach Ruanda ertrank. Dieses Schicksal teilten wohl einige Menschen aus Idjwi. In den Gesprächen wurde mir auch einmal mehr deutlich, was für ein großes Problem es ist, dass der Verkauf von Kaffee so schwierig ist. Oft kauften Schmuggler*innen den Kaffee von Idjwi in Ruanda an und verkauften ihn dann als ruandischen Kaffee. Um den Kaffee ohne bemerkt zu werden über den See zu bringen, fuhren viele dieser Leute die 20km bei Nacht in kleinen, rudimentären und überladenen Holzbooten. Wenn sie dabei kenterten, konnten sie keine Hilfe erwarten. Wir verbrachten den Abend gesellig mit Unterhaltungen und Bier am Seeufer.
Koko, Kaffee, Coltan und der König
Am vorletzten Tag war ich mit Koko bei einer weiteren Washingstation / Wet Mill, genannt Shuve. Diese Washingstation befand sich ziemlich weit weg vom Kooperativenzentrum, weshalb der Kaffee von dort per Boot zur Selektionsmaschine gebracht werden musste. Die Washingstations waren alle ähnlich aufgebaut. Naturals wurden damals wenig produziert. Der Prozess der Wahl war der klassische Double Washed Prozess. Die Rinnen, in denen die Kirschen gewaschen wurden, waren nicht sonderlich lang, was die Selektion nicht optimal werden ließ. Während wir verschieden Kaffeefincas besuchten, lernte ich auch den Konflikt „Coltan versus Kaffee“ kennen. In der DR Congo werden die weltweit größten Vorkommen von Coltan vermutet. Coltan ist der Rohstoff für Tantal, was in den Kondensatoren all unserer elektrischen Geräte zum Einsatz kommt. Auf der Insel Idjwi selbst werden meines Wissens nach keine großen Vorkommen vermutet. Jedoch gab es hin und wieder Funde, was dazu führte, dass Insulaner*innen Coltanerde ausbuddelten und an Händler*innen in Ruanda verkauften. Diese Ausgrabungsstellen lagen oft auf landwirtschaftlich bestellten Flächen, auch Fincas zwischen Kaffeepflanzen.
Am letzten Tag auf Idjwi haben Moses und ich den Frauen der Kooperative einen Kurs übers Kaffeefiltern gegeben. Es wurde vor Ort sehr wenig Kaffee getrunken und die Kooperative sah es als Chance, eigene Cafés auf der Insel zu eröffnen. Es fehlte jedoch jegliches Equipment und Basiswissen. Das Ergebnis unseres Workshops wurde in Form eines von Hand verfassten Posters an der Wand verewigt. Anschließend besuchten wir das Industriezentrum, das teilweise auch von dem Wasserkraftwerk der EWB betrieben wurde. Hier wurden Fische, verschiedene Lebensmittel und abgefülltes Frischwasser produziert. An diesem Ort stand auch die Selektionsmaschine der SCPNCK. Leider war diese aufgrund eines fehlerhaften Bauteils schon seit mehreren Monaten außer Betrieb. Wegen Covid war es schier unmöglich, das Teil zu besorgen. Die Kooperative musste daher den Kaffee anderswo prozessieren lassen, was zu hohen Kosten und logistischen Herausforderungen führte. Die Anlage war größtenteils aus japanischen Hilfsgeldern bezahlt worden.
Der letzte Abend wurde der krönende Abschluss mit der besonderen Ehre, dass ich einer Einladung des Königs des nördlichen Idjwi Königreichs folgen durfte. Traditionell musste man ein Huhn mitbringen, um ihm seinen Respekt zu zeigen. Leider konnte ich auf die Schnelle keines auftreiben, weshalb es dann 50 USD in einem Briefumschlag mit offiziellem cumpa-Sticker wurden. Alle waren sehr aufgeregt, dass ich eingeladen wurde, und es wurde mir mehrfach deutlich gemacht, was das für ein Privileg war. Wir tranken eine Limonade im Garten seines Gutshauses, wo wir zusammen mit Gilbert von seinen Bediensteten versorgt wurden. Er war eine ruhige, starke Autorität mit staatsmännischer Ausstrahlung. Zur Begrüßung musste ich mich verbeugen und ihm sagen, dass ich ihn, sein Volk und seine Kultur respektierte. Die Unterhaltung durfte nur auf Französisch geführt werden. Auch hier, im Gespräch mit dem König, wurde mir nochmal vermittelt, welche wichtige Rolle Gilbert auf der Insel spielt. Es war klar: Er war eine der angesehensten Personen und alle Menschen waren ihm für seinen Einsatz sehr dankbar.
Zurück nach Deutschland
Ich verbrachte meine letzte Nacht im Hotel bei Chance und versuchte zu schlafen, ohne mir zu große Sorgen für die anstehende Überfahrt aufs Festland zu machen. Am nächsten Morgen sammelte ich ein knappes Dutzend leere Plastikflaschen und füllte mit ihnen meinen Rucksack für die Bootsfahrt. Würde nochmal ein Sturm über uns hereinbrechen, und würden wir kentern, wäre ich vorbereitet und hätte zumindest mit meinem Rucksack eine Art Boje. Ich verabschiedete mich herzlich von allen Menschen, die ich trotz des kurzen Aufenthalts ins Herz geschlossen hatte, und ging mit meinem Boje-Rucksack nervös zur Anlegestelle für die Überfahrt. Zum Glück waren meine Sorgen unbegründet und die Überfahrt erfolgte ohne Sturm oder Zwischenfälle. In Ruanda ging es auf direktem Weg nach Kigali, wo ich noch einen Tag im Hostel mit akklimatisieren verbrachte und dann zurück nach Deutschland reiste.
Diesen Reisebericht habe ich 2024, fast 3 Jahre nach meiner Reise verfasst. Es freut mich ungemein, dass wir es mit cumpa nun nach all den Anstrengungen endlich geschafft haben, dem Kaffee von SCPNCK unserer Kundschaft anbieten zu können. Die Pläne und Ziele von damals, die ich mit Gilbert, Chance, Moses, Koko, den Kooperativenmitgliedern und dem König von Idjwi besprochen habe, gehen nun in Erfüllung.