Während Kaffee nach Wasser das zweitmeist konsumierte Getränk der Welt ist, kennen die meisten Menschen nur den Geschmack von Arabica (Coffea arabica) oder Robusta (Coffea canephora). Doch was wissen wir eigentlich über Liberica (Coffea liberica)?
Diese seltene und exotische Kaffeesorte hat eine faszinierende Geschichte – von ihren Ursprüngen in Afrika bis zu ihrer unerwarteten Reise durch Südostasien, einschließlich Vietnam. Obwohl sie lange im Schatten ihrer bekannteren Verwandten stand, wird Liberica auch heute noch in Vietnam angebaut und spielt eine kleine, aber einzigartige Rolle in der vietnamesischen Kaffeekultur. Lasst uns entdecken, wie dieser „vergessene Kaffee“ nach Vietnam kam und warum er nun wieder an Aufmerksamkeit gewinnt.
Liberica (Coffea liberica) stammt aus den feuchten Tieflandwäldern Westafrikas, insbesondere aus Liberia – dem Land, das dem Kaffee auch ihren Namen gab. Im Gegensatz zu Arabica, welches kühle Höhenlagen bevorzugt, gedeiht Liberica in heißen, tropischen Regionen. Die Bäume können bis zu 20 Meter hoch wachsen und tragen große, asymmetrische Bohnen, die sich optisch von Arabica und Canephora unterscheiden.
Jahrhundertelang blieb Liberica außerhalb Afrikas weitgehend unbekannt. Dies änderte sich jedoch im späten 19. Jahrhundert, als die weltweite Kaffeeindustrie von einer schweren Krise getroffen wurde: Der Kaffeerost (Hemileia vastatrix), eine verheerende Pilzkrankheit, vernichtete ganze Arabica-Plantagen entlang des tropischen Kaffeegürtels. Kolonialregierungen und Kaffeefarmer*innen sahen sich gezwungen, nach einer resistenten Alternative zu Arabica zu suchen.
In den 1890er Jahren wurde Liberica als Ersatz für Arabica nach Südostasien eingeführt, insbesondere in die Niederländisch-Ostindien (heutiges Indonesien), Britisch-Malaya (heutiges Malaysia) und die Philippinen. Die Pflanze erwies sich als robust, widerstandsfähig gegen Krankheiten und konnte dort gedeihen, wo Arabica scheiterte. Besonders auf den Philippinen erlebte Liberica einen kurzen Boom – im Jahr 1880 zählte das Land vorübergehend zu den weltweit größten Kaffeeexporteuren. Doch als sich herausstellte, dass Coffea canephora noch produktiver war, geriet Liberica zunehmend in Vergessenheit.
Im Jahr 2006 klassifizierte der britische Botaniker Aaron P. Davis gemeinsam mit einem Forscherteam Coffea excelsa als eine Unterart vonCoffea liberica und hob damit ihre enge genetische Verwandtschaft hervor. Diese taxonomische Neuzuordnung rückte Liberica wieder stärker ins wissenschaftliche Interesse und unterstrich ihr Potenzial sowie ihre Vielfalt innerhalb der Kaffeefamilie.
Die Kaffeereise Vietnams begann in den 1850er Jahren mit französischen Missionar*innen, die erstmals Arabica in der nördlichen Region Tonkin anbauten. Doch Arabica hatte Schwierigkeiten, sich in den heißen, tiefer gelegenen Gebieten des Landes zu behaupten. Die Franzosen, die in ihrem Kolonialreich bereits mit der Kaffeerost-Krise zu kämpfen hatten, suchten nach widerstandsfähigeren Kaffeesorten.
Im Jahr 1908 führten französische Agronomen sowohl Liberica als auch Robusta in Vietnam ein. Ihr Ziel war es, eine Kaffeesorte zu finden, die in Vietnams tropischem Klima gedeihen und gleichzeitig resistent gegen Schädlinge sein konnte. Liberica erwies sich robuster als Arabica und überlebte selbst in wärmeren, niedrig gelegenen Regionen. Doch sie hatte einen entscheidenden Nachteil: Die Bäume wuchsen enorm hoch, was die Ernte erschwerte.
Bald erkannten Farmer*innen, dass Robusta die bessere Wahl war. Er war ebenso widerstandsfähig wie Liberica, aber deutlich leichter zu kultivieren und lieferte zudem höhere Erträge.
Daher stellte Vietnam bis zum Ende des 20. Jahrhunderts fast vollständig auf die Produktion von Robusta um – eine Entwicklung, die das Land schließlich zum weltweit zweitgrößten Kaffeeexporteur machte. Liberica hingegen wurde zu einer Randerscheinung und wird heute nur noch in kleinen Mengen von einzelnen Farmer*innen in bestimmten Regionen angebaut.
Obwohl Liberica nie eine bedeutende Rolle im vietnamesischen Kaffeeanbau spielte, existiert die Sorte auch heute noch – wenn auch nur in geringem Umfang. Lokal wird sie als „Cà phê mít“ bezeichnet, was wörtlich „Jackfrucht-Kaffee“ bedeutet. Eine Anspielung auf die dicken, glänzenden Blätter des Baumes, die denen der Jackfrucht ähneln.
Liberica-Kaffee wird in mehreren Provinzen Vietnams angebaut. Zu den wichtigsten Anbaugebieten gehören:
Im Gegensatz zu Arabica, das kühle Bergklimate benötigt, gedeiht Liberica in diesen wärmeren Regionen hervorragend. Die Farmer*innen schätzen diese Kaffeesorte besonders wegen ihrer hohen Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge und Trockenheit, was ihr Überleben in Bedingungen ermöglicht, in denen andere Kaffeesorten Schwierigkeiten haben.
Einige Kaffeefarmer*innen nutzen Liberica sogar als Wurzelstock für Arabica oder Robusta. Sie pfropfen diese Kaffeesorten auf den robusten Stamm der Liberica-Pflanze mit tieferem Wurzelsystem, um deren Resistenz gegen Krankheiten und Trockenheit zu verbessern.
Liberica hat ein einzigartiges Geschmacksprofil, das sich deutlich von anderen Kaffeesorten unterscheidet. Ihr Geschmack kann kräftig, vollmundig, mit holzigen, nussigen und sogar rauchigen Noten sein. Bei sorgfältiger Verarbeitung entfaltet sich jedoch eine überraschende Komplexität: ein fruchtiges Aroma, das an Jackfrucht erinnert, gepaart mit einer beinahe klebrigen Süße, ähnlich wie Stevia – ausbalanciert durch eine angenehme Säure.
Die besondere Bohnenstruktur und der hohe Zuckergehalt machen Liberica besonders empfänglich für verschiedene Fermentationstechniken. Unterschiedliche Aufbereitungsarten können ihre Aromen gezielt verstärken. Naturals und anaerobe Fermentationen intensivieren die tropischen Fruchtnoten. Gewaschen aufbereitet hebt sich die natürliche Frische und Helligkeit der Liberica hervor. Fermentation kann zudem das traditionell schwere Mundgefühl dieses Kaffees in eine weichere, seidigere Textur verwandeln, was ihn zu einem spannenden Kaffee für Espresso- und Filterzubereitungen macht.
Mit ihrem unverwechselbaren Geschmacksprofil und dem wachsenden globalen Interesse erobert Liberica langsam seinen Platz in der Welt des Spezialitätenkaffees und bietet neugierigen Kaffeeliebhaber*innen eine völlig neue sensorische Erfahrung.
Dieser Artikel wurde verfasst von Paul Lidy.
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