Von Pflanzen zu Menschen – Belgien

Kaffeegeschichte: Von kolonialer Wissenschaft zur globalen Verwirrung

Vom 6. bis 9. Mai besuchten drei Mitglieder*innen von cumpa den Plantentuin Meise zur Konferenz „Pflanzen für Menschen – Botanische Expertise für eine nachhaltige Zukunft in Zentralafrika“.

Der Veranstaltungsort selbst war von symbolischer Bedeutung: Meise war einst das Zentrum, von dem aus belgische und französische Wissenschaftler*innen im späten 19. Jahrhundert nach Afrika aufbrachen – auf der Suche nach neuen Kaffeepflanzen, die resistent gegen den Kaffeerost sein sollten, der damals die Existenz von Arabica in den kolonialen Plantagen bedrohte.

Was darauf folgte, ist zugleich Vermächtnis und Widerspruch: Zahlreiche Coffea-Arten wurden beschrieben. Während Linden „Coffea robusta“ propagierte, war es Pierre, der die Pflanze bereits als Coffea canephora beschrieben hatte. Zur Weltausstellung 1900 in Paris hatte sich „Robusta“ als globaler Name etabliert und doch wurde sie 1905 botanisch offiziell als Teil der Art Canephora bestätigt. Diese Verwirrung besteht bis heute fort.

Als wir an Meises schlossähnlichem Gebäude am See vorbeigingen – genau jenem Ort, an dem einige dieser taxonomischen Wendepunkte einst begannen –, konnten wir nicht anders, als nachzudenken: Hier versammelten sich vor 130 Jahren die Entdecker*innen oder Schöpfer*innen jener globalen Canephora-/Robusta-Identität, die wir heute kennen.


Einblick in die Konferenz: Den Genies der Gene zuhören

Die Atmosphäre der Veranstaltung war zurückhaltend, respektvoll und geprägt von konzentrierter Aufmerksamkeit. Rund 40 Personen versammelten sich in einem stillen Saal – umgeben von hoch aufragenden Bäumen und botanischen Gewächshäusern.

Selbst zwischen den dicht getakteten Sessions entwickelten sich intensive Gespräche: über die Genetik wilder Kaffeesorten, über Hybridisierung und über die Widersprüche wissenschaftlicher Begrifflichkeiten.

Wir trafen einige der weltweit engagiertesten Coffea-Forscher*innen:

  • Piet Stoffelen
  • Valérie Poncet
  • Robrecht Bollen (Keynote-Sprecher beim Canephorum V3 in Berlin)
  • sowie mehrere aufstrebende Botaniker*innen und engagierte politische Akteur*innen aus Belgien und dem Kongo.

In Gesprächen über Canephora fühlten wir uns oft wie Studierende ganz am Anfang ihrer Reise – während wir noch „1+1=2“ aussprachen, diskutierten die anderen bereits in abstrakten Gleichungen. Vielleicht liegt genau hier die Antwort auf die Frage: „Wie groß ist die Distanz zwischen Kaffeewissenschaft und Spezialitätenkaffee-Branche?“ Und doch blieben diese Expert*innen offen und bescheiden, bewegten sich mit bewundernswerter Großzügigkeit zwischen Französisch und Englisch.

Zentrale Erkenntnisse:

  • In der botanischen Welt gibt es keine „Coffea robusta“ – nur Coffea canephora.
  • Und dennoch taucht „Robusta“ selbst in wissenschaftlicher Literatur immer wieder auf.
  • Auch die Bezeichnung C. canephora var. robusta ist irreführend – aufgrund der stark kreuzungsfreudigen (allogamen) Natur der Pflanze.
  • Die genetische Vielfalt der Art ist enorm – doch die domestizierten Linien stammen fast ausschließlich aus dem Kongo, mit nur geringem Eintrag anderer Gruppen.

Kaffee, Bananen und Weltrekorde

Der zweite Tag bot noch mehr praktische Eindrücke. Nach einer faszinierenden Cupping-Session mit kongolesischen Kaffees vom INERA Yangambi erkundeten wir die Gewächshäuser.

Prof. Stoffelen stellte uns eine beeindruckende Vielfalt an Coffea-Arten vor – einige allogam wie Canephora, andere autogam wie Arabica – jede auf ihre eigene Weise an verschiedene Ökosysteme angepasst: Regenwälder, trockene Sandböden, überflutete Landschaften.

Natürlich stellten wir uns dabei die Frage:
Wie würde eine Tasse dieser seltenen Kaffees unter Spezialitätenbedingungen schmecken?
Könnte das der seltenste Kaffee der Welt sein?
Wäre der Aufwand gerechtfertigt – würde er überhaupt gut schmecken?

Danach ging es weiter zur Bananenforschung, wo wir erfuhren, dass man äußerlich nicht erkennen kann, ob ein Stamm zu Kochbananen oder Dessertbananen gehört – ein Rätsel, das in Millionen Jahren Evolution begründet liegt.

Zum Abschluss trafen wir den Gärtner hinter der Guinness-Weltrekord-haltenden Blume. Was von der über drei Meter großen, offiziell größten Blume der Welt übrig war, war ein massiver Blütenstand mit leuchtend roten Samen – jeder genetisch einzigartig. Diese Samen, so lernten wir, werden mit anderen botanischen Gärten geteilt, um die Art zu erhalten.


Heilige Wälder, gemeinsame Zukunft

Wir beendeten unseren Besuch mit einer Führung durch die alte botanische Bibliothek von Meise – ein Gebäude, das ein stilles Zeugnis für Jahrhunderte pflanzenkundlicher Forschung ist, sowohl lokaler als auch afrikanischer Flora.

Eine Wahrheit wurde dabei deutlicher denn je:
Afrika beherbergt die Wälder, die für die Zukunft des Kaffees heilig sind.
Mit ihrem Verschwinden verschwindet auch die genetische Grundlage des Kaffees.

Die Zukunft des Kaffees liegt in den Händen der Menschen, die in und um diese Wälder leben.
Sie müssen gestärkt werden. Sie müssen aufblühen.
Denn die Zukunft des Kaffees kann nur auf ihrem Land entstehen – mit ihrer Beteiligung.

Der Weg zu globaler Gerechtigkeit ist lang – aber er ist unumgänglich.

In der lokalen Umgebung existierten einst keine Begriffe wie „Canephora“ oder „Robusta“.
Geröstete Bohnen wurden vermutlich nicht konsumiert – vielleicht nutzte man Blätter oder Kirschen zu medizinischen Zwecken.
Die Araber nannten es „Kawa“. Mit der Ankunft der Europäer änderte sich alles.

Die Demokratische Republik Kongo verkörpert beides zugleich: die Kraft und den Fluch des Reichtums an natürlichen Ressourcen.
Kaffee ist Teil dieses Paradoxons – er kann zum Guten oder zum Schlechten genutzt werden.

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Lukas Harbig
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