Das Canephora Flavor Wheel

– warum es die Kaffeewelt braucht und wie man damit arbeitet
Das wissenschaftlich begutachtete und als Open Access veröffentlichte Canephora Flavor Wheel schafft endlich eine gemeinsame, faire Sensorik-Sprache für Coffea canephora. Es schließt Lücken im etablierten Arabica-zentrierten Flavor Wheel, ordnet Attribute wie Umami und Salzigkeit sinnvoll ein und gibt Cupping-Profis ein praxistaugliches, standardisiertes Werkzeug an die Hand. Dieses Rad ist Ergebnis einer Peer-Review-Studie und wurde von unserer Canephorum-Community und unserem cumpa Team aktiv mitgetragen.
Worum geht’s?
Die Kaffeeindustrie arbeitet seit Jahren mit Flavor Wheels, allen voran dem SCA/CQI Coffee Taster’s Flavor Wheel. Dieses Rad hat die Sensoriksprache geprägt, basiert jedoch auf einer engen Datenbasis überwiegend arabicadominierter Kaffees. Für Canephora und andere non-Arabica-Arten bedeutet dies: strukturelle Benachteiligung. Aromen, die bei Canephora häufig vorkommen (und qualitativ relevant sind), tauchen im alten Raster nur am Rand auf oder werden vorschnell als „Fehler“ gelesen.
Das neue Canephora Flavor Wheel setzt genau hier an. Es bildet die sensorischen Eigenheiten von Coffea canephora ab. Nicht als „schlechteres Arabica“, sondern als eigenständige geschmackliche Erfahrung, so wie Weißwein nicht „roter Wein in schlecht“ ist. Anders, nicht minderwertig.
Warum die Kaffeewelt es braucht
Gleiche Sprache, fairere Bewertung: Röster*innen , Q-Grader und Produzierende sprechen künftig ein Vokabular für Canephora. Das ermöglicht vergleichbare Qualitätsbewertungen und Preisfindung auf Augenhöhe.
Bessere Produktentwicklung: Wenn herzhafte, Kakao-, Getreide-, Nuss- und sogar bestimmte Holznoten positiv kontextualisiert werden, können präzisere Röstprofile und eine klarere Rezeptkommunikation das Ergebnis sein.
Mehr Markttransparenz: Ein anerkanntes Raster macht Beschaffung und Storytelling nachvollziehbarer.
Inklusion & Vielfalt: Das Rad öffnet Portfolio-Strategien jenseits der Arabica-Norm und unterstützt diverse Coffea-Arten.
Was macht das Canephora Flavor Wheel wissenschaftlich tragbar?
Die Studie „Development of a flavour wheel for Coffea canephora using rate-all-that-apply“ (Scientific Reports) folgt einem klaren, transparenten Vorgehen:
Peer-Review & Open Access: Die Arbeit wurde extern begutachtet und frei zugänglich veröffentlicht, was Qualität und Zugänglichkeit stärkt.
Methodik: RATA (Rate-All-That-Apply): Verkoster*innen wählen aus einer kontrollierten Deskriptorliste alle passenden Begriffe und gewichten deren Intensität. Das ist effizient, reproduzierbar und eignet sich hervorragend, um Deskriptoren mit realer Relevanz für Canephora zu identifizieren.
Ziel: Ein standardisiertes, inklusives Vokabular, das Wissenschaft & Praxis verbindet und global vergleichbare Qualitätsbewertungen ermöglicht.
Ergebnis: Ein Rad, das Canephora-typische Noten sichtbar macht, sensorische Dimensionen ausbalanciert (z. B. Umami als potenziell positiv), und Salzigkeit nicht pauschal „fehlerhaft“ markiert, sondern kontextualisiert.
Was ist neu bzw. anders als beim SCA/CQI-Rad?
Das SCA/CQI-Rad bleibt ein Meilenstein, jedoch ist seine Basis sehr arabicalastig. Das Canephora-Wheel:
… zentriert Canephora. Es stellt nicht Arabica-Standards voraus, sondern definiert die Qualität innerhalb der Canephora-Logik.
… ordnet Grundgeschmacksarten neu ein: Umami kann, im Zusammenspiel mit Süße, Säure und Aromatik, positiv zur Komplexität beitragen. Auch Salzigkeit ist nicht automatisch negativ, sondern wird in Relation zum Gesamtprofil bewertet.
… öffnet den Blick für „andere“ Positive: würzig-herzhaft, kakao, nussig, getreidig, dunkelfruchtig etc. Deskriptoren, die in Canephora-Profilen häufig und qualitätsrelevant sind.

So nutzt du das Canephora Flavor Wheel
Schritt für Schritt
1.Setup & Kalibrierung
Cupping-Protokoll standardisieren (Wasser, Röstgrad, Ruhezeiten, Temperaturen).
Panel kalibrieren: Begriffe aus dem Rad mit Referenzproben verankern (z. B. Kakao, getreidig, würzig, Kräuter, Lakritz, dunkle Beeren, Umami-Referenzen).
2. Bewertung mit RATA-Logik denken
Wähle alle passenden Deskriptoren, nicht nur den „einen“ treffendsten.
Intensität mitschreiben – so lässt sich Qualität granular vergleichen.
3. Kontext einbeziehen
Prüfe Balance: Wie spielen Süße, Säure, Bitterkeit, Umami und Salzigkeit zusammen?
Positiv vs. Negativ immer profilbezogen beurteilen (z. B. Umami ≠ Fehler; kann Struktur geben).
4. Dokumentieren & Kommunizieren
Nutze das Rad als visuelles Protokoll: Markiere die Segmente/Deskriptoren, die getragen haben.
In Ausschreibungen, Einkauf & Schulung sorgt das Rad für gemeinsame Sprache – vom Ursprung bis zur Rösterei.
Praxisbeispiele: Was verändert sich im Cup?
„Herzhaft-würzig“ nicht reflexhaft abwerten: In Harmonie mit Süße und Textur kann das Tiefe & Länge geben.
„Salzigkeit“ differenzieren: Ein Hauch kann Körper und Klarheit stützen; überschießende Salzigkeit bleibt natürlich ein Hinweis auf Ungleichgewicht.
Kakao, Getreide, Nuss, dunkle Früchte als Qualitätsanker denken – nicht als Notlösung.
Umami als Struktur-Player: besonders relevant bei natürlicher oder experimenteller Aufbereitung.
Community & Beiträge
Dieses Rad ist Gemeinschaftsarbeit. Auf unseren Canephorum-Events V2 und V3 stellte Dr. Fabiana Carvalho das Canephora Flavor Wheel vor und verankerte es tief in der Szene. Parallel haben wir mit Canephorum ausführlich darüber berichtet, Instagram Updates geteilt und Unterstützer aktiviert.
Aus der Praxis kam ebenfalls direkte Unterstützung: Wir, cumpa, steuerten Samples aus Peru und Panama für den Datensatz bei und unser Teammitglied Paul war bei einer der Verkostungssessions in Zürich dabei, kuratiert und geleitet u. a. von Gloria Pedroza (NKG/CQI), wodurch das Rad frühzeitig im Hands-on-Kontext getestet wurde. Damit die Studie Open Access erscheinen konnte, haben wir, cumpa, zudem als größter Unterstützer die Finanzierung des Peer-Review-Prozesses maßgeblich ermöglicht.
So ist ein wissenschaftliches Tool entstanden, das von Beginn an aus der Community für die Community gedacht ist – und deshalb in Labor, Rösterei und Cupping-Room gleichermaßen funktioniert.
Häufige Fragen (FAQ)
Ist das Rad nur für „High-End Robusta“?
Nein. Es hilft über die gesamte Bandbreite – vom Basissegment bis Specialty. Wichtig ist konsequente Anwendung und saubere Kalibrierung.
Ersetzt es das SCA/CQI-Rad?
Nein. Es ergänzt es art-spezifisch. Für Arabica weiterhin sinnvoll, für Canephora ist das neue Rad treffsicherer.
Wie komme ich an das Rad & die Studie?
Die Studie ist Open Access in Scientific Reports. Suche nach dem Titel „Development of a flavour wheel for Coffea canephora using rate-all-that-apply“ (Carvalho et al., 2025) oder gelange hier direkt im Artikel zur Studie. Das Rad ist darin dokumentiert und kann für Training & Qualitätssicherung verwendet werden.
Fazit
Das Canephora Flavor Wheel ist ein Meilenstein für Fairness und Präzision in der Kaffee-Sensorik. Es rückt Canephora auf Augenhöhe, schafft eine gemeinsame Sprache und öffnet Türen für bessere Qualität, bessere Bezahlung und bessere Kommunikation.
Quellen
Carvalho, F. M., Alves, E. A., Artêncio, M. M., Cassago, A. L. L., & Pereira, L. L. (2025). Development of a flavour wheel for Coffea canephora using rate-all-that-apply. Scientific Reports, 15, 16643. (Open Access).















